Die Jungen denken ans Auswandern Mehr als die Hälfte der jungen Deutschen glaubt nicht mehr daran, dass es ihnen einmal besser gehen wird als ihren Eltern, und denkt übers Auswandern nach. Stefan Kolev hat diesen Pessimismus untersucht und macht Vorschläge, was im „Herbst der Reformen“ geschehen sollte W enn eine Gesellschaft ihre jungen Menschen zu verlie- ren droht, ist das ein deutli- ches Zeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wenn das Kapital aus dem Land abfließt oder die Innova- tionen woanders stattfinden, kann man solche abstrakten Facetten des Wohlstandsverlusts eine Weile igno- rieren. Wenn aber die eigenen Kin- der und Enkel das Land zu verlas- sen beginnen, sollte jeder verstehen, dass sich etwas ändern muss. Solche Erfahrungen haben viele Gesellschaften gemacht, etwa die neuen Bundesländer nach der Wie- dervereinigung oder die Staaten in Mittel- und Osteuropa. Für die ge- samtdeutsche Gesellschaft aller- dings sind derartige Erfahrungen ungewohnt und verdienen daher umso mehr Aufmerksamkeit. Denn aktuell scheint etwas in Bewegung zu kommen, was in der Tat beunru- higend ist: Junge Menschen haben in der Bundesrepublik verstärkt genau solche Gedanken – entweder an das physische Auswandern oder an die innere Emigration, also den Rück- zug in das eigene Schneckenhaus. Wenn junge Menschen auswan- dern, brechen die langfristigen Grundlagen der Ordnung weg: All das, was man sich von der jungen Generation verspricht, droht auszu- bleiben: das gesellschaftliche En- gagement, die Innovationen, die ge- leistete Arbeit, das angesparte Kapi- tal, auch der eigene Nachwuchs. Der langfristige Charakter dieser Gefahren korrespondiert mit dem langfristigen Anspruch der Ord- nungspolitik, die Wirtschaft so zu gestalten, dass diese auch in der langen Frist attraktiv bleibt. Wenn also junge Menschen über das Aus- wandern nachzudenken beginnen, ruft das gerade nach einer ordnungs- ökonomischen Analyse – aufgeteilt in Diagnose und Therapie. Im Rahmen der Studie „Wohlstand für Junge“ wurde das Meinungsfor- schungsinstitut INSA damit beauf- tragt, 1000 Bürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren zum Thema Aus- wandern zu befragen. Manche Er- gebnisse erschrecken. Das Zeugnis, das die befragten jungen Bürger dem Standort Deutschland ausstellen, ist in weiten Teilen niederschmetternd. Stefan Kolev ist der wissenschaftliche Leiter des Ludwig-Erhard- Forums für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin und Professor für Wirtschafts politik an der West sächsischen Hoch- schule Zwickau. Abwanderungsabsichten nach Bildungsstand Anteile in Prozent; Stand: 2019 Akademiker 25 – 39 Jahre 40 – 64 Jahre 25 – 64 Jahre Beruflich Qualifizierte 25 – 39 Jahre 40 – 64 Jahre 25 – 64 Jahre Personen ohne berufs- qualifizierenden Abschluss 25 – 39 Jahre 40 – 64 Jahre 25 – 64 Jahre 3,6 4,2 3,9 4,8 4,9 4,9 6,8 7,5 7,3 13,6 3,6 5,0 8,4 12,8 5,9 18,2 9,3 26,5 5,2 4,8 14,8 1,7 2,6 3,0 9,6 3,4 10,9 3,0 1,9 2,2 5,6 15,4 4,0 4,5 13,4 14,0 18- bis 24-Jährige Hochschule Mittlere Reife Hauptschul- oder ohne Abschluss* 2,2 2,4 13,2 7,0 7,2 5,1 13,1 10,0 22,5 22,3 24,6 40 * Nicht mehr in schulischer Ausbildung Für immer Für einige Jahre Für einige Monate Quelle: Geis-Thöne (2022) R E B R E G N A I T S I R H C : O T O F 32 Wohlstand für Alle – Freiheit. Macht. Handel.